Experteninterview mit Thomas Eisenreich

Wir waren im Interview mit Thomas Eisenreich, Geschäftsführer der Home Instead GmbH und neuem Beiratsmitglied bei Livy Care. Wir haben den Experten zu den digitalen Lösungsansätzen in der Pflege befragt und stießen dabei auf interessante Ansichten zum Thema "Robotik in der Pflege".

Nachdem Thomas Eisenreich im Firmenkundengeschäft einer der größten Sparkassen Deutschlands tätig war, entschied er sich 1996 für einen Wechsel in die Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Diese Entscheidung basierte auf seinen ehrenamtlichen Erfahrungen bei der Johanniter-Unfall-Hilfe in Köln, die er mit seinem beruflichen Werdegang verknüpfte.

Im Laufe seiner Karriere hat er vielfältige Erfahrungen in der Beratung, Verbandsarbeit und Leitung von mittleren und großen Organisationen gesammelt, die sowohl privat als auch gemeinnützig tätig sind. Dabei hat er ein breites Spektrum der Gesundheits- und Sozialbranche in Deutschland kennengelernt. Seit Herbst 2019 ist Thomas Eisenreich Teil des Teams von Home Instead und seit September nun auch Beiratsmitglied bei Livy Care. 



1. Welche Lösungsansätze sehen Sie für die Pflege, welche den Personalmangel

auffangen und Pflegekräfte entlasten können?

 

Aus meiner Sicht gibt es fünf große Handlungsmöglichkeiten, die wir selbst in der Hand haben:

1. Der Ausbau der Prävention für Menschen über 65 Jahre, insbesondere 75 Jahre. Damit verschieben wir die Unterstützungsbedarfe nach hinten und reduzieren diese zudem, da die Menschen fitter bleiben.

2. Mehr unternehmerische Freiheiten der Pflegeanbieter statt zunehmender ordnungspolitischer Vorgaben, wie Personal-Schlüssel oder immer enger werdenden Anforderungen an Räume und andere Strukturvorhaltungen.

3. Damit verbunden ist eine klare Outcome-Orientierung der Qualitätsbewertung statt einer Input-Output-Betrachtung, die dann ebenfalls mit ordnungspolitischen Vorgaben verknüpft wird.

4. Die Lösung der Leistungen vom Wohnort des Menschen mit Pflegebedarf.

5. Die Ausweitung der Digitalisierung und Robotik dort, wo sie Pflegende entlastet und/oder die direkten Bezugszeiten für die zu Pflegenden/Betreuenden verbessert. Also nicht ersetzend, sondern ergänzend.


2. Glauben Sie, dass wir irgendwann von Robotern gepflegt werden und wenn ja, welche Aufgaben sollen diese erledigen?

Der Roboter wird nicht die eigentliche Pflege und Betreuung als Ganzes übernehmen. Aber Teile davon ergänzen zu den Bezugs- und Sorgezeiten der Pflegenden/Betreuenden. Anders als von einigen Personen prognostiziert, werden Robotik-Leistungen in Haushalten im oberen Einkommensdrittel Einzug halten. Denn die haben das Geld für die hochpreisigen Systeme. Das untere Einkommensdrittel wird eher Pflege-/Betreuungs-Mängel aufweisen. Wenn die Leistungen der Pflegeversicherung nicht ausreichend hoch in den Sachleistungen bemessen sind, wird das Einkommen / Vermögen über die Pflegequalität entscheiden. 

"Ich will mir nicht von einer Pflegekasse vorschreiben lassen, was meine Lebensqualität zu sein hat." Thomas Eisenreich
3. Kennen Sie erfolgreiche Beispiele für die Integration von digitalen Assistenzsystemen in der Betreuung von Pflegebedürftigen?

Was heißt erfolgreich? Digitale Assistenzsysteme sind, zumindest im Kontext der Leistungen der Pflegeversicherung, noch nicht regelfinanziert. Daher gibt es bisher immer nur Modellprojekte mit mehr oder weniger Nutzerzahlen, die aber keine Aussagefähigkeit zu der Fragestellung sein können. Erfolgreich sind sicherlich die umfassende private Nutzung von Smartphone und Tablets, inkl. Messenger wie WhatsApp, mit denen Familien mit ihren zu betreuenden Angehörigen im Kontakt bleiben. Smart Home Lösungen sind auch solche Beispiele: Es sind die Lösungen, die im Einzelhandel gekauft und einfach genutzt werden können. Und die Kinder und Enkel auch haben. Der Makel einer nur für Gebrechliche ausgerichteten Technik wird eher abgelehnt. 

4. Was denken Sie über Telepflege und die Sprechstunde am Computer?

Das ist als Ergänzung sehr sinnvoll. Damit lassen sich die Betreuungszeiten, insbesondere wenn diese auch als Gruppenangebote ausgestaltet werden, erheblich ausbauen. Teure Wegezeiten können entfallen. Auch weniger mobile Menschen werden erreicht. Es geht aber nicht nur um Pflege. Insbesondere muss die Aktivierung der Pflegebedürftigen (geistig, körperlich) und die Tagesstrukturierung darüber erfolgen. Das hat präventive Wirkung und verringert Einsamkeit.  Unsere umfassenden Tests (auf eigene Kosten) haben das bei über 300 Teilnehmenden nachgewiesen.

5. Was vermissen Sie aktuell in den Bemühungen, Pflegekräfte mehr zu entlasten ?


Es fehlt eine Regelfinanzierung eben dieser Investitionen und der damit verbundenen laufenden Kosten. Statt nur in Autos und Steinen zu denken, müssen technisch-digitale Lösungen in die Finanzierungssystematik der Investkosten und der Pflege aufgenommen werden, um so flächendeckender eingesetzt werden zu können. 

6. Wie sehen Ihre persönlichen Wünsche für die ältere Bevölkerung aus?
Was würden Sie sich wünschen, das sich für Sie verbessert? 

Man sollte sich immer die Frage stellen, was es jetzt schon gibt, und wie ich Technik zur Verbesserung meines Lebensalltags nutzen kann. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass dafür erst die Pflegekasse bezahlen soll. Jeder ist erst einmal für sich selbst verantwortlich. Das will ich mir nicht von einer Pflegekassen vorschreiben lassen, was meine Lebensqualität zu sein hat. Wer sich frühzeitig damit beschäftigt, hat im Alter mehr gewonnen. 

Die Pflegebranche sitzt auf einem sinkenden Boot insbesondere durch den Personalmangel.

Digitalisierung und Robotik bieten vielversprechende Ansätze, um die Problematik anzugehen, jedoch als Ergänzung zur menschlichen Pflege. Die Integration solcher Technologien in Pflegeeinrichtungen ist entscheidend, erfordert jedoch eine bessere Finanzierung und eine einfache Zugänglichkeit zu nutzerfreundlichen Lösungen. Telepflege und Sprechstunden am Computer können Betreuungszeiten erweitern und soziale Isolation reduzieren. Es bleibt wichtig, nicht nur auf ordnungspolitische Vorgaben zu setzen, sondern auch unternehmerische Freiheiten zu fördern, um Innovationen zu ermöglichen. Letztendlich liegt die Verantwortung für die Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen nicht allein bei der Pflegekassen, sondern erfordert laut Eisenreich auch die individuelle Nutzung vorhandener Technologien zur Unterstützung im Alltag und mehr Eigeninitiative sich bereits weit vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit mit der eigenen Versorgung und den individuellen Bedürfnissen auseinanderzusetzen.

Haben Sie weitere Fragen oder möchten sich von unseren Experten:innen zum Thema Digitaliserung und Livy Care in Ihrer Einrichtung beraten lassen? Schreiben Sie uns eine unverbindliche Mail an: beratung@livy-care.com.